Liebe potentielle Adoptanten,
ich finde es toll, dass Sie sich für einen Hund aus dem Tierschutz interessieren. Leider gibt es aber immer auch Fälle, in denen es mit der Adoption nicht klappt. Deshalb schreibe ich diesen kleinen Artikel, um Sie nochmal zum Nachdenken anzuregen. Der Hund wurde vom Tierheim beschrieben, meist kurz nach seiner Ankunft. Diese Beschreibung ist, sofern kein Update erfolgt ist, immer weniger aktuell, je länger der Hund im Tierheim ist. Die Pfleger haben so viele Hunde und so viel zu tun, dass es für sie unmöglich ist, auf dem Laufenden zu bleiben. Ich denke, sie zeigt das Potential, das der Hund hat. Wann er es dann zeigt nach der Adoption und ob er es nach all den Erfahrungen überhaupt noch hat ist ungewiss. Daher ist ein Hund, der schon auf einer Pflegestelle in Deutschland ist, deutlich besser einschätzbar.
Was geht in dem Hund vor? Er hat sich mit der Situation im Tierheim mehr oder weniger arrangiert und Sicherheit gewonnen, je besser, desto evtl. schwieriger für die Adoptanten. Er war nie allein, immer unter Kumpeln oder Pflegern. Er hat seine Bezugspersonen gehabt und es war immer ein Ereignis, wenn er zum Streicheln auserwählt wurde. Er hat sich an einen bestimmten Tagesrhythmus gewöhnt, musste evtl. um sein Essen kämpfen oder auch vor dem Tierheimaufenthalt sein Essen zusammensuchen und konnte nie wirklich in Ruhe schlafen, weil irgendwo immer Gebell war. Wenn er schlief und wurde berührt, war es immer eine Stresssituation - greift mich jemand an? Musste er sich lösen, ging das an Ort und Stelle. Sofern er noch ungechipt ist, wird das nachgeholt, Blut wird abgenommen. Eine schmerzhafte Prozedur, die das Verhältnis zum Tierarzt nachhaltig beeinträchtigen kann. Dann wird er in einen engen Käfig gesperrt und mit vielen anderen Hunden auf einen langen Transport gebracht und findet sich völlig entwurzelt in einer ihm unbekannten Situation wieder.
Was bedeutet das für die Adoptanten? Es kann sein, dass sich der Hund nicht streicheln lässt. Lassen Sie ihn! kommen und bedrängen Sie ihn nicht. Kommandos wie Sitz und Platz dauern. Er muss erst Vertrauen aufbauen, denn im Sitzen und schon gar nicht beim Platz machen ist er in einer Haltung, die eine Verteidigung ermöglicht. Das hat bei uns drei bzw. sechs Monate gedauert, bevor diese beiden Kommandos befolgt wurden. Lassen Sie ihn am Anfang nur gut gesichert mit Leine nach draußen, auch in den Garten! Es könnte sein, dass er sein bisheriges Zuhause wieder suchen will. Lassen Sie ihn nie unbeobachtet, wenn Kinder dabei sind (viele Hunde haben nicht so gute Erfahrungen mit Kindern) oder wenn Essen in erreichbarer Nähe ist, damit Sie bei Bedarf gleich einschreiten können. Gerade ehemalige "Selbstversorger" sind da sehr kreativ! Der Hund springt Sie an bzw. steigt an Ihnen hoch? Das ist für viele Tierschutzhunde, insbesondere wenn sie mal an einer Kette leben mussten, normal. So konnten sie die Pfleger quasi zum ersehnten Körperkontakt zwingen und an einer Kette sind sie in einer komplett ausgelieferten Position. Mit freundlicher Konsequenz kann man das auch langsam abbauen. Bis zur Stubenreinheit sollten Sie möglichst parat stehen, um sofort mit ihm rausgehen zu können - auch nachts (hier allerdings eher "parat liegen" ). Der Hund kennt zum Lösen vor allem feste Untergründe wie Beton oder Fliesen - weniger Gras. Wenn er knurrt - nicht schön und je größer der Hund desto angsteinflößender - ist es eine für ihn normale Kommunikation um zu zeigen, dass er etwas nicht will. Lassen Sie ihm diesen Willen und trainieren Sie schrittchenweise, dass es für ihn keine Bedrohung ist. Wir gehen diese Schrittchen jetzt seit 14 Monaten und der Weg ist noch lange nicht zu Ende. Es kann sein, dass der Hund Türen öffnen kann. Letztens war bei "Tiere suchen ein Zuhause" einer dabei, der sogar die Schlüssel umdrehen konnte. Da muss man sich dann sehr umgewöhnen. Junge Hunde sind Energiebündel und sie suchen sich schon eine Beschäftigung. Wie sehr lieben Sie Ihre Teppiche, Möbel, Deko? Das alles kann passieren, muss aber nicht passieren und passiert auch bei Hunden vom Züchter. Das Autofahren kann problematisch werden wegen der lauten Jammerei und der evtl. Verweigerung einer Transportkiste. Aber weiß der Hund wohin es geht? So wurde er doch schon mindestens einmal weggebracht. Davon ganz abgesehen wird er nach einiger Zeit versuchen, Grenzen auszutesten und da gibt es schon sehr sture Charaktere. Was das Kapitel "Rasse" aufmacht. Nicht jeder Jagdhund jagt und nicht jeder Schutzhund schützt. Aber die Wahrscheinlichkeit für diese Charaktereigenschaft ist eben höher. Gehen Sie bitte nicht nur nach Schönheit. Überlegen Sie, ob Sie den wahrscheinlichen Charaktereigenschaften des Hundes gerecht werden können. Ein Malinois(mischling) wird nicht den halben Tag zufrieden in seinem Körbchen liegen und ein Hüte/Schutzhund nicht jeden Besuch sofort freudig empfangen. Da kann die Beschreibung ganz anders sein, aber im Tierheim ist es eine Ausnahmesituation und nicht das Zuhause in der "Familiengruppe". Seien Sie kreativ: Unser Hund lässt sich immer noch nicht bürsten, die Dusche haben wir erst gar nicht probiert. Also: Der angewachsene fünfzinkige Kamm kommt zum Einsatz und ein langsames Gewöhnen an das Abrubbeln mit einem feuchten Handtuch. Er liebt es, lässt es inzwischen überall zu und es stärkt die Bindung! Das Fell ist auch ohne Waschen gepflegt und dunkle Verfärbungen der weißen Stellen sind spätestens am nächsten Morgen wieder schneeweiß. Er riecht auch nicht mehr wie anfangs. Es ist keine Gewöhnung unsererseits sondern wird vom Besuch bestätigt. Es gibt also auch Umwege, um ans Ziel zu kommen.
Langer Rede, kurzer Sinn: Lassen Sie sich beraten, hören Sie auf die Beratung und wenn Sie sich unsicher sind, nehmen Sie einen Hund von einer Pflegestelle, möglichst mit vorheriger Kennenlernphase. Wenn Sie doch einen Hund direkt aus dem Tierheim adoptieren wollen, bringen Sie bitte, bitte Geduld und Nerven mit. Lassen Sie dem Hund Zeit, nicht nur ein paar Tage oder Wochen. Wirkliche Problemhunde werden Sie auf dieser Homepage nicht finden. Erwarten Sie keine Wunder. Denken Sie daran, was es für den Hund bedeutet, wenn er dann doch wieder in der Vermittlung landen sollte nachdem in ihm ein Fünkchen Hoffnung aufgekommen ist.
Für uns war jedenfalls klar: Auch bei Problemen bleibt unser "Überraschungspaket" bei uns und es macht uns glücklich zu sehen wie er sich entwickelt hat. Er ist ein großer Goldschatz mit ein paar Messingmedaillen!